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Was haben Lernen und nachhaltige Veränderung gemeinsam?

Viel. Und seit ich Dr. Wolfgang Debler und die von ihm entwickelte Didaktik kenne, noch viel mehr. Darum hätte der Beitrag auch gut „Wie eine Didaktik mein Verständnis von Veränderung auf den Kopf stellte“ heißen können.

Ich möchte die Gelegenheit ganz am Anfang direkt nutzen, um Wolfgang dafür zu danken, dass ich Teil des iCuelearn-Projektes sein darf und dafür, dass er diesen Text durch wertvolle und tiefgründige Kommentare und Ergänzungen aufgewertet hat.

Die Gemeinsamkeiten vom Lernen und nachhaltiger Veränderung

Sowohl beim Lernen als auch bei der Veränderung geht es oft zunächst einmal um die Theorie. Ich lerne beispielsweise etwas über gesunde Ernährung aus einem Buch oder aus einem Video. Das ist erstmal reines Wissen, das anwendungsfrei im luftleeren Raum wabert.

Meinem Empfinden nach traf das auf den größten Teil des Stoffes zu, den ich in der Schule gelernt habe. 😉

Auch bei der Veränderung kann am Anfang zunächst theoretisches Wissen stehen, das den Impuls für die Veränderung gibt. Vielleicht ist es sogar genau das Buch über gesunde Ernährung, das zu diesem Impuls führt.

Nach der Theorie, so wäre es sinnvoll, könnte nun die Praxis kommen. Um am Beispiel zu bleiben geht es also nun darum, zu lernen, wie ich tatsächlich gesund koche. Gleiches gilt naheliegenderweise, wenn ich meine Ernährung dahingehend verändern möchte und nicht nur theoretisch wissen möchte, was ich tun müsste, wenn ich mich gesund ernähren wollte – aus den Bücherseiten nehme ich zumindest keine Vitamine auf.

Man merkt, das Lernen und der Prozess der Veränderung eigentlich ziemlich gleich sind. Im Folgenden wird der Fokus daher auf der nachhaltigen Veränderung liegen. Fürs Lernen, vor allem wenn es um praxisnahe Lerninhalte geht, gilt das Geschriebene aber genauso, oder zumindest in ähnlicher Form. (Und wer tiefer darin einsteigen möchte, der/dem sei die iCuelearn-Website wärmstens ans Herz gelegt).

Was dabei aber oft vergessen wird

… oder vielmehr, was oft gar nicht adressiert wird, ist die Frage, was das ganze theoretische und praktische Wissen mit einem selbst zu tun hat. Wie stehen die Theorie und die Praxis im Verhältnis zu dem, was ich über mich und die Welt denke?

Um es zu konkretisieren: Was müsste ich denken – über mich, aber auch über Ernährung – um mich wirklich nachhaltig gesund zu ernähren?

Wenn ich zwar weiß, dass gesunde Ernährung gut für mich ist, ich aber glaube, dass ich eine Tiefkühlpizza liebende, Chips fressende und Cola saufende Person bin, der es maximal viel abverlangen wird, diszipliniert gesund zu kochen, dann … muss ich es wirklich aussprechen? … ist vorprogrammiert, dass meine Ambitionen dasselbe Schicksal ereilen wird, wie das von 90 % der Neujahrsvorsätze.

Es geht also nicht nur um Theorie und Praxis, sondern auch um das Weltbild, das man von sich und der betreffenden Sache hat. Denn wenn es so einfach wäre – Buch lesen, Verhalten ändern, fertig – bräuchte es auch nicht die Tonnen an verschwendeter Tinte in den Selbsthilfe- und Persönlichkeitsentwicklungsabteilungen der Buchläden.

Gescheiterte nachhaltige Veränderung an einem Beispiel aus meiner „Coaching-Karriere“

Gleich vorweg: Ich bin rückblickend sehr froh, dass diese von mir damals angestrebte Veränderung nicht nachhaltig war. Denn in dem Beispiel wird noch ein anderer wichtiger Aspekt deutlich, den es meiner Ansicht nach für wirklich nachhaltige Veränderung braucht – nämlich Integrität sich selbst gegenüber.

Aber von Anfang:

Als ich als Coach gestartet bin, war ich sehr ambitioniert und bereit, vieles auszuprobieren, um so richtig durchzustarten – wohl wissend, dass ich mich dafür bisweilen deutlich aus meiner Werte-Komfortzone herausbewegen werde.

Ich habe mich unter anderem nach einem Marketing-Coaching-Kurs umgeschaut, um mir in diesem Bereich das (vermeintlich) nötige Rüstzeug drauf zu schaffen. Nach einiger Suche habe ich mich für einen Anbieter entschieden, bei dem ich sowohl die Strategie lernte, als auch in der praktischen Umsetzung begleitet wurde.

Theorie und Praxis – check!

In dem Programm gab es aber noch mehr, und das sogar in großem Umfang: Mindset-Arbeit.

Im Grunde wirklich wertvoll, aber…

Die grundsätzliche Idee der Mindset-Arbeit war es, unternehmerisches Denken zu stärken. Ein für mich wesentlicher Punkt dabei war, selbstbewusst mein Angebot zu präsentieren.

Meine Sorge bestand (und besteht) darin, dass ich den Menschen auf die Nerven gehe. Der Mindset-Shift sollte nun darin bestehen, dass ich zwar einige Menschen nerven werde, wenn ich aber wirklich von meinem Angebot überzeugt bin, ich also glaube, dass ich bestimmten Menschen wirklich helfen kann, dann ist es gewissermaßen meine Pflicht, diese Menschen zu finden. Und das bedeutet nun mal, dass ich auf sie zugehen muss; auch auf die Gefahr hin, dass ich manche nerven werde.

Das ergibt für mich absolut Sinn und ich habe miterlebt, wie dieser Shift manche meiner Mit-Coachees wirklich geholfen hat, sich rauszutrauen.

Für mich war das aber trotzdem nicht stimmig, denn ich hatte weiterhin das Gefühl, mich den Menschen aufzudrängen. Mein Ziel war (und ist) es eher, eine Anziehungskraft zu haben, sodass Menschen von sich aus auf mich zukommen.

Was ich für mich daraus gelernt habe und die Konsequenz für nachhaltige Veränderung

Was es für nachhaltige Veränderung also braucht, sind zum Einen Theorie und Praxis – und das haben die Jungs wirklich gut gemacht – es braucht aber auch einen wirklichen Abgleich der angestrebten Situation bzw. des angestrebten Verhaltens hinsichtlich der persönlichen Kompetenzen, die ihm zugrunde liegen.

Das beinhaltet Fragen wie:

  1. Wie stehe ich zu mir selbst?
  2. Wie gestalte ich Beziehungen?
  3. Welche Werteorientierung habe ich?

All diese Fragen gilt es jeweils in Bezug zum angestrebten Verhalten zu beantworten. Allein das kann schon sehr hilfreich sein. Wichtig ist aber auch, die Antworten gegen die eigene Haltung zu prüfen.

Welche innere Haltung braucht also das angestrebte Verhalten und wo fühle ich mich dahingehend wohl bzw. was sind meine Grenzen?

Ein einfaches Beispiel dafür:

Wenn es mein Ziel ist, in eine Mafiagang einzutreten, sollte ich mich, nachdem ich Theorie und Praxis des Mafialebens kenne und verstehe, zunächst fragen, welche Werte ich als Mitglied der Mafia vertreten müsste bzw. würde. Der nächste Schritt ist dann, mich zu fragen, ob ich wirklich bereit bin, diese Werte zu leben. Ist die Antwort nein, wird es mir dauerhaft vermutlich keine Freude bereiten, mich der Mafia angeschlossen zu haben.

Abschließend kann ich sagen, dass dieser Ausritt ins Performance-Social-Media-Marketing in dem Sinne erfolgreich war, als dass ich nun ziemlich genau weiß, dass das nicht meine Art zu arbeiten ist.

Ich habe im Anschluss nicht nur mein Marketing-Konzept überdacht, sondern auch meine grundsätzliche Ausrichtung – weniger aufmerksamkeitsheischendes Marktgeschrei, mehr Tiefgründiges; die dicken Bretter bohren.

Drei Arten des Wissens

In eine ganz ähnliche, aber für den Lern- und Veränderungsprozess nicht so praktikable, Scharte schlägt die Unterscheidung von „Wissen“ in drei unterschiedliche Arten. Es geht im Wesentlichen darum, wie wirkungsvoll und nachhaltig unterschiedliche Tiefen der Durchdringung von Wissen in Bezug auf die eigene Person sind (Kontextualisierung).

Konkret sieht die Unterscheidung so aus:

  1. Wissen:
    Bei Wissen handelt es sich um Informationen, die man „weiß“ bzw. kennt. Informationen zu haben fühlt sich gut und ggf. hilfreich an. Der Wert von reinem Wissen für nachhaltige Veränderung lässt sich jedoch sehr schön am Verhältnis der Menschen ablesen, die wissen, dass Rauchen schädlich ist, im Vergleich zu denen, die trotzdem rauchen.
    Und selbst das Wissen darüber, wie es gelingen kann, mit dem Rauchen aufzuhören, ändert daran oft nichts. Also selbst wenn wir so viel wissen, dass wir einen konkreten Plan schmieden können, sagt das noch nichts darüber aus, ob wir es tun, wie wohl wir uns damit fühlen und wie nachhaltig die Veränderung letztlich ist.
  2. Verstehen:
    Beim Verstehen geht es nicht per se um das Verständnis der fachlichen Inhalte des betreffenden Themas, sondern vor allem um das Verständnis, in welchem Zusammenhang es mit einem selbst steht. Innerhalb der spezifischen Thematik ist einem klar, worum es für einen selbst geht. Eine laktoseintolerante Person, die Milch vermeidet, bewegt sich beispielsweise auf dieser Ebene. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht doch gerne Milch trinken würde. Und darum:
  3. Weisheit:
    Vollständige Identifikation mit dem angestrebten Zustand und leben eben dieses. Bezogen auf eine bestimmte Thematik ist man also im Einklang mit sich und stellt die eigene Haltung nicht mehr in Frage. Das Verhalten ist selbstverständlich.
    Ich finde Weisheit ist ein recht großer Begriff, der bisweilen sogar einschüchtern kann. Wenn man aber anerkennt, dass der Weg dorthin ein Prozess ist, verliert er sofort seinen Schrecken.

Der Kern dieser Unterscheidung

(um ein ähnliches Beispiel wie das bereits genannte zu bemühen)

Solange ich glaube (oder davon überzeugt bin), dass eine gesunde Lebensführung mit viel Sport und einer ausgewogenen Ernährung für mich unendlich anstrengend und entbehrungsreich wird, werde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dauerhaft gesund leben. Selbst wenn ich alles darüber weiß, weiß, was ich alles tun sollte, wie ich mich ernähren sollte und wie all das im Positiven auf meinen Körper und mein Wohlbefinden wirkt, solange ich mich mit dieser Lebensweise nicht identifizieren kann, wird es schwierig.

Allerdings sei gesagt, dass je länger ich es schaffen würde, mich an diese Lebensführung zu halten (oder mich dazu zu zwingen), desto leichter wird es mir fallen, mich auch irgendwann damit zu identifizieren. Hoffnung also für alle Disziplinierten.

Paul Davies hat im Kontext der Geldphilosophie in ähnlicher Weise sehr schön vier Arten des Wissens unterschieden. Der Artikel ist absolut lesenswert (leidet allerdings darunter, dass Unterscheidung in „Information“ und Knowledge“ fachlich keinen Sinn ergibt – was der Güte des Inhalts aber keinen Abbruch tut!).

Was es für nachhaltige Veränderung braucht

Egal, ob man es nun entlang der Didaktik von Dr. Debler oder anhand der unterschiedlichen Arten des Wissens betrachtet, für nachhaltige Veränderung braucht es im Wesentlichen diese drei Aspekte:

  1. Theoretisches Wissen
  2. Praktisches Wissen bzw. Verfahrenswissen
  3. Den ehrlichen und umfassenden Abgleich der persönlichen und wertebasierten Aspekte der angestrebten Veränderung mit der eigenen Haltung (Weisheit). Hierfür die drei oben genannten Fragen beachten.

Das sieht jetzt zwar aus, wie eine typische Checkliste, aber das sollte nicht irritieren. Vor allem sollte nicht geglaubt werden, das zwei von drei reichen würden. Früher oder später kommen alle drei Aspekte zum Tragen.

Grade Punkt 3) ist es, vor dem man sich gerne drücken möchte; Theorie und Praxis sind ja relativ einfach zu adressieren. Aber es gibt keine Abkürzung. Wir Menschen sind keine Maschinen, die man mit Informationen und Algorithmen füttert und dann laufen wir. Wir brauchen diesen tiefgründigen Prozess. Darin liegt nicht nur der Schlüssel zur nachhaltigen Veränderung, sondern auch für persönliches Wachstum.

Allerdings, und das muss auch gesagt werden, gibt es Dinge, die sich nicht verändern lassen. Wie man herausgefunden hat, gibt es Dinge/Verhalten/Eigenarten/Charakteristika in uns, die wir vererbt bekommen haben und die damit fest verankert sind. Dann geht es nicht mehr darum, diese loszuwerden, indem wir uns irgendwie verändern. Das wird nicht funktionieren. Dann geht es darum, damit umgehen zu lernen.

Aber das ist ein Thema für ein anderes Mal.

Fazit

Wenn es um Veränderung geht, geht es oft um Verhalten. Es ist aber leider nicht mit „ es einfach anders machen“ getan.

Tatsächlich musste ich mir da selbst an die Nase fassen, denn ich habe lange die rigorose Ansicht vertreten, dass wenn man etwas verändern will, man es doch einfach machen sollte. Im Grunde bleibe ich zwar bei dieser Einstellung, aber ich weiß nun, dass es für wirklich nachhaltige Veränderung etwas mehr braucht, als „es einfach zu machen“. (vielleicht sollte ich mal einen Gruß an die Sportartikelfirma mit dem Swoosh schicken 😉)

Veränderung, so wie eben auch Lernen, funktioniert besser und vor allem nachhaltiger, wenn man die eigene Persönlichkeit in den Kontext des Angestrebten einbezieht.

„Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll.“

Georg Christoph Lichtenberg

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